Sonntag, 17. Juni 2012

Dritter Rundbrief


Hallo alle zusammen,

hier nun mein dritter und letzter Rundbrief aus Südafrika.

Kindergartenausflug
Mit den Kindern machten wir einen super schönen Ausflug zum Wynberg Park. Es ist faszinierend für mich zu beobachten, welch ein Erlebnis solch eine Unternehmung für die Kinder hier ist. Bereits die Busfahrt, war für sie sehr aufregend. Man glaubt gar nicht, was man alles dabei sehen kann: kurz nach dem Start an der New World Foundation noch das eigene Zuhause, dann vorbei an einem größeren See mit dem Aufschrei „beach“, sie dachten wohl das wäre das Meer, dann beim Kreuzen der Bahnschienen entdeckten sie einen Zug, auch dieses löste großen Jubel aus.
Ein solcher Ausflug mit einer deutschen Kindergartengruppe würde womöglich eher dazu führen, dass die Kinder quengelten, wie lange es noch ging, anstatt begierig alles aufzusaugen. Für unsere Kinder war dieser Ausflug eine der wenigen Gelegenheiten den Alltag im Township zu verlassen, und ein spannendes Abenteuer zu erleben. Im Park konnten sie dann frei herumrennen und spielen, was ihnen super Spaß gemacht hat. Sie rennen auch im Township herum aber dort gibt es leider keine größere saubere Rasenfläche.

Ist schon super süß  dieses Erstaunen, diese Freude der Kinder mitzuerleben. Für mich war es ein mehr als beeindruckendes Erlebnis, dass sicher noch lange in mir wirken wird. Diese Bedeutung der Kleinigkeiten wurde mir auch am Tag nach meinem Geburtstag, dem Montag 28. Mai, noch mal deutlich. Hier gibt es für die Geburtstagskinder einen Geburtstagssticker. Vielen Kindern fiel mein Sticker auf und sie gratulierten mir sofort, was echt süß war. Eine kleiner Junge hatte am 28.5 Geburtstag und kam gleich mehrfach zu mir, um mich in den Arm zu nehmen und mir zu gratulieren. War echt super süß!

Mädchen und Jungen
Anderseits sind solche Ausflüge super anstrengend für uns. Bei den Kleinen, weil wir sehr auf sie achten müssen, bei den Großen, da hier andere Probleme auftauchen. So machten wir mit dem Girlsclub zusammen mit dem Boysclub einen Ausflug. Die erste Hürde war schon, dass die Mädels nichts mit den Jungs machen wollten. Wir hatten sie jedoch in gemischte Gruppen eingeteilt. Sie ließen sich nur mit viel Überredungskunst darauf ein, denn meist wollen sie in dem Alter noch nichts mit dem anderen Geschlecht zu tun haben. Auch diesen Tag haben wir gemeistert. Mit dem Bus fuhren wir zum South African Nationalmuseum. Viele verschiedene Themen wie Wale, Haie, verschiedene Dinosaurier, Tiere die in der Vorzeit hier gelebt haben, sind dort Themen. Dazu gab es Steinmalereien, so wie viele ausgestopfte Tiere und Nachbildungen.
Die Mitarbeiter hatten Fragen ausgearbeitet, die in Fünfer- Gruppen gelöst werden mussten. Jede Gruppe wurde von einem Mitarbeiter begleitet. Leider waren es sehr viele Fragen, die noch dazu wahllos gemixt wurden. Die Antworten konnten nur durch ein mehrfaches im Hin- und Hergehen gefunden werden. Angesichts der Größe des Museums war dies nicht einfach. So ist es nur verständlich, dass irgendwann die Luft raus war und die Jugendlichen die Lust daran verloren. Anschließend gingen wir ins Planetarium. Leider war dies nicht so toll, da viele der Jugendlichen nicht still sitzen konnten. Sie quatschten ständig miteinander oder quietschten mit den Sitzen. Wenn eine Gruppe erst mal unruhig ist, dann ist es sehr schwer, sie zur Ruhe zu bringen, die die anderen Gäste gerne hätten.

Kunstprojekt
Ich mache seid Februar in einem Kunstprojekt mit. Dort wird uns gezeigt, wie wir Kunst anderen Menschen beibringen können. Darüber hinaus in wieweit Kunst auch als eine Form des Helfens, für den Umgang mit Gefühlen u.ä. genutzt werden kann. Dazu treffen wir uns jeden Donnerstag für zwei Stunden und lernen alle möglichen Techniken, üben diese und erfahren einige interessante Möglichkeiten des Umganges mit Kunst.
Darauf hin haben wir: Zain (youth coordinator), Franziska und ich ein Kunstprojekt an der Hillwood Primere School gestartet dessen momentanes Ziel es ist, Bilder für die „Retreat Clinic“ zu malen. Dabei geht es zum einen darum den Kindern Kunst an sich näher zu bringen, Fertigkeiten zu erlernen, zum andern auch darum Selbstvertrauen in einer Gruppe aufzubauen und natürlich gemeinsam Spaß zu haben.

Abschied
Nun ist Julie verabschiedet worden. Eine Freiwillige, mit der wir hier nun acht Monate gemeinsam gearbeitet haben. Man merkt erst wenn jemand weg ist, wie sehr man sich doch aneinander gewöhnt hat. Währen Julies Verabschiedung musste ich daran denken, dass es auch für mich bald so weit ist. Es wird nicht einfach für mich werden Menschen zu verlassen, die ich ins Herz geschlossen habe und die eine Art Familie für mich geworden sind. Ganz zu schweigen von den Kindern, bei denen mir immer mehr auffällt, wie sehr sie sich doch an mich gewöhnt haben. Ich binde ihnen die Schnürsenkel zu, nehme sie in den Arm, wenn sie heulen und frage einfach mal wie es geht. Ich schenke ihnen um es zusammenzufassen Aufmerksamkeit, die einige von ihnen leider nur selten bekommen. Ich merke wie wichtig ihnen diese Aufmerksamkeit ist, und frage mich öfters was passiert, wenn ich weg bin. Natürlich geht das Leben weiter und die Kinder werden jemanden finden der ihnen die Schuhe zumacht oder lernen dies alleine zu machen. Fatima schafft es nun schon alleine. Trotzdem denke ich, wird für einige erst mal eine Lücke entstehen. Von einer Mutter habe ich erst vor kurzem erfahren, nach dem sie meinen Namen gehört hatte, dass ihre Tochter viel von mir erzählt. Mir fällt es schwer dieses zu beschreiben, dazu fehlen mir die richtigen Worte. Vielleicht könnt ihr ja auch ohne viele Worte meine Gedanken und Gefühle verstehen.

Ein paar weitere Gedanken zu der Erkenntnis: „dass man erst, wenn man es nicht mehr hat bemerkt, was einem fehlt.“  Das ging mir hier oft so. Abgesehen davon, dass ich vor allem auch meine Familie vermisse, vermisse ich auch simple Alltagsdinge. Anfangs dachte ich hierüber kaum nach, ja nahm nicht mal an, dass ich so etwas in der Fremde vermissen könnte. Zum Beispiel hat unser Haus hier kein zentrales Heizungssystem. Teilweise haben wir „Heater“, kleine Heizkörper die nicht viel bringen. Die Isolierung kann man als miserabel bezeichnen: einfache Scheiben, keine Doppelverglasung; eine Deck ohne Dämmung, leichte Mauern, direkt auf den Boden gebaut u.s.w.  Wer nun denkt, was soll’s so etwas braucht man doch nicht in Afrika, da scheint doch die Sonne und es ist immer warm, der täuscht sich sehr. Dies trifft sicher für einen Teil von Afrika zu, jedoch weder für den Norden noch für Südafrika.
Der Winter hier ist kalt, es gibt zwar keine Minusgrade und keinen Schnee, aber auch ein paar einstellige Gradzahlen können verdammt kalt sein. In Deutschland sind wir daran gewöhnt im Winter in warme Häuser zu gehen. Wir gehen durchaus auch gerne bei kalten Temperaturen spazieren, wissen jedoch, dass wir anschließend wieder in ein warmes Haus zurückkehren können. Es gibt sicher auch hier in guten Wohngegenden gut gebaute Häuser mit einem guten Dämm- und Heizungssystem. Wir haben das leider nicht. Zu wissen, in meinem Zimmer, in unserem Häuschen, wird es nicht warm, lässt einen zum einen Erschaudern und zum anderen noch mal ganz anders über unser selbstverständliches Leben in Deutschland nachdenken. Momentan fällt mir die Kälte vor allem morgens auf, wenn ich aus dem warmen Bett kriechend mich im kalten Zimmer anziehen muss.

Kulinarisches
Meine Mutter hat in ihrem Blog aus Indien vor nicht allzu langer Zeit über die Bedeutung unserer kulinarischen Wurzeln geschrieben. Am Ende fragt sie an, ob das nicht zu viel des Guten war und sie es hätte besser sein lassen sollen, sich so breit über dieses Thema auszulassen. Ich denke nein, aus meinem Erleben in einer anderen Fremde, wenn gleich diese zu Deutschland nicht so fremd ist, wie dies für Indien zutrifft, so ergeht es auch mir hier so, dass ich entdecke, wie meine kulinarischen Wurzeln mich prägten. Auch wenn es auf den ersten Blick erscheint, als gäbe es kaum Unterschiede, so nehme ich diese gerade immer mehr wahr. Angefangen hat es nach einem halben Jahr ungefähr, dann ging mir auf dass ich Dinge, die in Deutschland für uns normal sind, vermisse. Das fängt beim Brot an. Hier gibt es kein richtiges Brot, nur Toast in allen Abstufungen. Als ich hier her kam und gesehen habe es gibt nur Toast, wenn auch teilweise sehr dunklen dachte ich mir, es ist nur für ein Jahr, damit werde ich sicher zu Recht kommen. Mittlerweile hängt mir der Toast jedoch zum Halse raus und ich will wieder richtiges Brot essen. Ein anderes Beispiel ist der Käse. Hier gibt es zwar durchaus verschiedene Käsesorten aber im Endeffekt schmecken sie alle gleich, und das heißt für meine Geschmacksempfindungen nicht unbedingt gut.

Fremde
Viele von euch waren wahrscheinlich noch nicht länger in der Fremde. Es lohnt sich auf jeden Fall. Es ist kein Urlaub mehr und so ist nicht nur alles Friede Freude Eierkuchen. Super neu und aufregend, nein man sieht welche Probleme das Land hat, womit die Menschen in diesem Land kämpfen. Um es kurz zu machen man sieht Dinge, die einem als Tourist nicht auffallen. Nicht unbedingt nur weil man dafür zu kurz im Land ist, nein das Land achtet auch darauf, dass diese Dinge von den Urlaubern ferngehalten werden. Welches Land will schon, dass die Touristen sehen, dass es Probleme gibt. Dann kommen sie ja nicht wieder. Also, alles kaschieren. Wenn man nun aber länger im Land ist, sieht man diese Dinge, das muss nicht negativ sein, aber es fällt einem auf. Und nun beginnt man dieses mit seiner eigenen Heimat zu vergleichen. Da die neue Heimat Alltag wurde, ist sie nun vertrauter. Die Unterschiede werden deutlicher wahrgenommen und auch bewertet. Was mir dabei vor allem in letzter Zeit auffällt ist, dass vieles für eine Weile aushaltbar ist. Sei es das Essen, eine komplizierte Gruppe, ein anderer Umgang mit Mitmenschen. Aber nach einer gewissen Zeit, wünscht man sich dann wieder etwas Altes zurück. Um die Situation auf Dauer auszuhalten, müsste man sich den Problemen stellen.


Abschied
Nun komme ich noch einmal auf den Abschied zu sprechen, denn dadurch, dass die Fremde zur Heimat und Familie wurde ist der Abschied viel schwerer. Aus dem Urlaub verabschiede ich mich leicht, ich kann wenn ich will ja noch mal dort Urlaub machen. Mit lockeren Bekanntschaften hält man meist eh keinen Kontakt mehr. Was aber, wenn aus dem Urlaub Alltag, Heimat und Familie wird? Wer will sich schon gerne und vor allem wer kann sich einfach von diesen Dingen verabschieden? Was passiert dann? Wie verabschiede ich mich? Wie schaffe ich es Kontakt zu halten? Es passiert leider viel zu oft, dass das Sprichwort: „Aus den Augen, aus dem Sinn“ zutrifft. Natürlich kann ich, und werde ich versuchen dieses Land wieder zu besuchen, und ich weiß, dass mich einige mit offenen Armen willkommen heißen werden. Aber mir ist heute schon klar, es wird dann für mich nur ein Urlaub sein, es wird wahrscheinlich wenig Zeit sein. Womöglich stelle ich dann fest, dass ich nicht alle besuchen konnte, die ich gerne besucht hätte. Ich hoffe ihr versteht warum ich soviel über den Abschied schreibe. Es ist ganz klar ein wichtiges Thema und ich kann selbst kaum in Worte fassen wie mir dabei zumute ist. Ich hoffe ich konnte es euch ein wenig näher bringen.

Liebe Grüße aus dem kälter werdenden Südafrika
Eure Mirjam